…und helfen mir, Zugang zu den Herzen der Menschen zu finden. Wegen unsinniger „Sanktionen“ lasse ich mein gutes Verhältnis zu russischen Menschen nicht eintrüben. Erst im November 2015 weilten wir wieder in Moskau. Durch unseren langjährigen Freund Sascha Samsonow, ehemaliger hoher Offizier der Garnison Oschatz, stehen mir in Moskau sämtliche Wege offen. Genutzt habe ich diese Kontakte in erster Linie, um etliche Male mit Gymnasiasten des „Thomas-Mann-Gymnasiums“ Oschatz zum Schüleraustausch in die im Zentrum gelegene Mittelschule Nr. 1284 zu fahren. In ein baufälliges Gebäude, für die mehr als 800 Schüler sehr beengt, aber mit amerikanischer Hilfe technisch gut ausgestattet und gefragt wegen der Möglichkeit, in den Fremdsprachen Deutsch und Englisch privat unterrichtet zu werden. Diese Schule sollte abgerissen werden, weil sich der Öl-Konzern „Luk-Oil“, der innerhalb einer kurzen Zeit ein riesiges Hochhaus errichtet hatte, erweitern wollte. Der Abriss erfolgte! Aber der Protest der Eltern und Schüler hatte bewirkt, dass am 01.09.2004 eine völlig neue Spezialschule für Englisch eingeweiht wurde… Jährlich ermittelt eine amerikanische Kommission die drei besten Schüler der Abschlussklasse (10. Klasse), die zum kostenlosen Studium nach Amerika delegiert werden.
In den Hörsälen dieser Schule und der „Moskauer Staatlichen Akademie für Gerätebau und Informatik“, die eng mit der „California State University, Dominguez Hills“ in Los Angeles kooperiert, hielt ich vor hunderten Schülern und Studenten Buchlesungen in russischer Sprache. Als Termin hatte ich aus Anlass „60 Jahre Kriegsende“ den Februar (13./14./15. 02. 1945 Bombardierung Dresdens) ausgewählt. Inhaltlich konzentrierte ich mich auf meine Biografie als Umsiedler- und Flüchtlingskind aus Bessarabien und die Bombardierung Dresdens, veranschaulicht durch umfangreiches Bildmaterial zum Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche. Ein stürmischer Applaus, Blumen und die anschließende Diskussionsfreudigkeit der jungen Menschen waren für mich der schönste Lohn.
Kommen wir von Russland in die Ukraine.
Zur Internationalen Konferenz (17.-18.Oktober 2015 in Tarutino) „Deutsche national-kulturelle Bewegung in Bessarabien: Geschichte und Perspektiven“ anlässlich der 200-jährigen Entstehung europäischer Kolonien im Budschak (Bessarabien) hatte ich zur Präsentation meines Buches „Welcher Heimat gehört unser Herz?“ (3. Auflage) eine Einladung erhalten. Sechzig Teilnehmer, unter ihnen 12 Professoren von weither, die meisten von der Odessaer National-Uni „Metschnikow“ mit 19 Studenten waren gekommen. Ich wurde gleich als dritte Rednerin aufgerufen. Eine in Bessarabien geborene, russisch sprechende Deutsche wurde für alle ein gefragter Gesprächspartner… Ich staunte immer wieder, welch großes Interesse für unsere Geschichte und somit für mein Buch besteht. Ein Kamerateam aus Kiew verdonnerte mich am Sonntagmorgen zu einem Interview (live in Russisch) und Drehen eines Films im Park, in dem auch das von Mitgliedern des „Bessarabiendeutschen Vereins e.V.“ Stuttgart gestiftete Denkmal steht. Und, ehrlich gesagt, mich plagte manchmal das schlechte Gewissen. Bist du nicht eine Verräterin? Die Konflikte und kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der Ukraine und Russland greifen bis in die Familien, die verwandtschaftlich oft verbunden sind. Da ist es der Sascha in Moskau und die Walja in Kiew. Irgendwie verbinde ich sie.
In meinem Bemühen, die Freundschaft zu unseren östlichen Nachbarvölkern zu vertiefen, habe ich in dem belorussischen Autoren und Journalisten Anatol Barowski einen hervorragenden Mitstreiter gefunden. Die Katastrophe von Tschernobyl, die er als Liquidator hautnah miterlebt hat, wurde der Hauptinhalt seiner Bücher… Seine Erzählungen, von tiefem Mitgefühl getragen, wie er viele seiner engen Freunde dahinsiechen sah und beim Sterben begleitet hat, haben mich sehr erschüttert. Deshalb übersetzte er für mich den ersten Teil seines belorussischen Buches „Schwarzer Storch – Weißer Schatten“ ins Russische und ich wiederum ins Deutsche. Unser beider Anliegen ist es, der zahllosen Opfer des furchtbaren Gaus von Tschernobyl in Ehrfurcht zu gedenken. Am 26.04.2016 jährt sich die Katastrophe zum 30. Male.
Weil die deutsche Sprache immer mehr von der englischen verdrängt wird, was sich im Gespräch mit den Odessaer Studenten bestätigt hat, wollte ich unser gemeinsames Buch auch in der englischen Sprache herausgeben. Aber der interessierte Leser meiner Bücher wird schon gemerkt haben, dass mir die westliche Welt und somit die englische Sprache völlig verschlossen sind.
Mein Buch „Welcher Heimat gehört unser Herz?“ baute mir eine Brücke. Die inzwischen verstorbene Frau Maria Eulitz erzählte mir ihre ergreifende Geschichte von der Vertreibung aus Ostpreußen. Der Fredo H. fand heraus, dass ihr Sohn Andreas Eulitz als Software-Ingenieur bei Microsoft in Seattle/ USA arbeitet. Ich kann das Glück kaum fassen! Trotz seiner anspruchsvollen Arbeit und knapp bemessenen Freizeit willigte er ein, das Buch „Schwarzer Storch – Weißer Schatten“ größtenteils ins Englische zu übersetzen. …
Die Beschäftigung mit meinen Büchern füllt mich in meinem Rentnerdasein total aus. Ohne meine polnischen Freunde, auch von der finanziellen Seite her, hätte ich meine Träume und Pläne niemals verwirklichen können. Zunächst war es der künstlerisch hochbegabte Redakteur Boguslaw Szybkowski aus Oppeln, den ich für meine Ideen gewinnen konnte. Glauben Sie ja nicht, er wäre mit dem Verlegen des Buches „Welcher Heimat gehört unser Herz?“ sofort einverstanden gewesen. Erst als der inzwischen verstorbene Prof. Dr. Lesiuk, ein hervorragender Kenner der neuesten Geschichte Schlesiens …, nach dem Lesen des Manuskripts zu dem Urteil kam: „Das Buch müssten nicht nur Deutsche lesen, sondern auch Polen, …“, begann unsere gemeinsame Arbeit. Für das Übersetzen ins Polnische fehlen mir und dem Freistaat Sachsen die finanziellen Mittel. Für die Bücher des ehemaligen Ministerpräsidenten Biedenkopf 307 900 € auszugeben, hat das Geld gereicht.
„Staatskanzlei gab 307 900 Euro Steuergelder für Biko-Tagebücher“ (Bild Leipzig)
Weil Breslau (Wroclaw) in diesem Jahr (2016) UNESCO – Hauptstadt wird und die Polen intensiv mit der Aufarbeitung der deutsch-polnischen Geschichte beschäftigt sind, erfüllt mich die wunderschöne Rezension „Von ‚Heimkehr’ zu ‚Heimweh’“ des polnischen Dichters Jan Goczol im Buch „Zblizenia-Annäherungen“ der Breslauer (Wroclaw) Universität mit Stolz, besonders diese Meinung: „Für viele – nicht nur für deutsche – Leser wird der Titel dieses Buches (L. Pottetz – „Welcher Heimat gehört unser Herz?“ – MS-Verlag – Opole 2003) ein vielfältiges, altbekanntes Echo finden. Und zum Schluss:
…Wenn Prof. Lesiuk im letzten Satz feststellt, dass dieses Buch nicht nur Deutsche, sondern auch Polen lesen sollten, und dass es deshalb ins Polnische übersetzt und auf dem polnischen Buchmarkt präsentiert werden sollte, dann muss man hoffen, dass sich die verantwortlichen und einflussreichen Adressaten dieses Appells in Polen finden lassen.“